29 ES WAR EINMAL ... Bergen auf Rügen ist die Sagen- und Märchenhauptstadt Norddeutschlands. Diesen reichen Schatz verdanken die Bergener einigen unermüdlichen Samm- lern von Geschichten, allen voran Ernst Moritz Arndt und Alfred Haas (siehe Seite Persönlichkeiten). In detailgetreuer Kleinarbeit befragten sie die Leute und schrieben das Erzählte, oft nur wenige Zeilen, wortwörtlich auf. Dadurch ergaben sich häufig verschiedene Versionen einer Sage. Immer wieder findet Haas die Geschichte von dem versunkenen Kloster im Nonnensee. Die Geschichte beschreibt verwöhnte Nonnen, die im Sommer auf Salz Schlitten fuhren. Gottes Strafe folgte auf dem Fuß: Das Kloster versank des Nachts im Nonnensee. Zu Ostern tauchten eine große und eine kleine Glocke am Ufer des Nonnensees auf. Ein Mädchen schaffte es durch das Belegen der großen Glocke mit frisch gewaschener Puppenwäsche, diese zu bannen. Bis heute hängt sie als die größte der drei Glocken im Turm der Marienkirche in Bergen auf Rügen. Viele Geschichten drehen sich um die Slawenburg am Rugard, die an bestimm- ten Tagen als Trugschloss wieder auftaucht. Oder an der Stelle dieses slawischen Fürstenschlosses liegt am ersten Pfingsttag morgens Wäsche zum Trocknen ausge- breitet. Im Klosterhof, so berichteten die Bergener, könne man einer in ein langes weißes Kleid gehüllten Dame begegnen, schätzungsweise das Gespenst einer resoluten Priorin. Denn wer die Dame anspricht oder gar anrührt, dem gibt sie eine Ohrfeige, deren Schmerz man sein Lebtag nicht vergisst. Sehr kleine, ständige Begleiter der Bergener sind einerseits die Unterirdischen (Zwerge) und andererseits die Puks, die Unsinn anstellen, im Haushalt aber unent- behrlich sind. Die urige Schänke »Puk up‘n Balken« (Bahnhofstraße 65) trägt ihren Namen nicht von ungefähr. Wer dort einkehrt, kann sich auf die Suche nach dem Puk begeben. DER MÄGDESPRUNG (eine positive Version) Auf dem Rugard, in unmittelbarer Nähe der Tennisplätze, nördlich des Weges nach Stedar, befindet sich ein großer Stein. »Auf dem Steine, der am Rugard liegt, ist die Fußstapfe eines Menschen und der Abdruck einer Gerte. Der Fürst vom Rugard trifft dort eines Tages ein Mädchen, das hütet die Gänse. Das spricht er zur Ehe an. Die Magd hält das für Spott und spricht: So unmöglich sie in den Stein hineintreten könne, so unmöglich sei es auch, dass sie des Fürsten Weib werde. Und damit sprang sie auf den Stein und hieb mit der Gerte, die sie in der Hand hatte, darauf. Als sie aber sah, dass sowohl ihr Fußtritt, als auch der Gertenhieb dem Steine eingedrückt waren, erkannte sie darin ein Zeichen Gottes und wurde des Fürsten Weib.« Sagen und Erzählungen aus Bergen auf Rügen, Alfred Haas, 1917 VOM UNTERIRDISCHEN GRUMKIERL »Einst schlich sich der Grumkierl, ein Zwerg, in die Werkstatt des Uhrmachermeisters der Stadt. Der hatte den Auftrag, ein Ziffernblatt für die Kirchturmuhr anzu- fertigen. Der Grumkierl beschloss, die Bergener reich zu beschenken. Es behagte ihm nicht, dass sie sich kaum noch der Weisheit alter Tage erinnerten. Stets hörte man von ihnen nur: »Ich habe keine Zeit.« Im Dunkel der Nacht narrte der Grumkierl den Uhr- macher, sodass er auf dem Ziffernblatt einen eisernen Strich zu viel anbrachte. Seitdem ist den Bergenern in jeder Stunde eine Minute geschenkt. Wer zur Kirch- turmuhr aufblickt, kann sie bis heute entdecken.« Von dem echten Bergener Geschichtenerzähler Sebastian Lau, 2018